Jenke als... Hochseilartist
Für diese Aufgabe soll ich rauf aufs Seil, ganz ohne Netz und doppelten Boden. Deutschlands berühmteste Hochseilartisten-Familie tritt Open Air vor dem Freiburger Münster auf. Zu Fuß auf Balletschläppchen oder mit einem Spezialmotorrad übers straff gespannte Stahlseil auf knapp 40 Meter Höhe. Und ich soll mitmachen.
Was für eine Ehre und was für ein Freude: ich bekomme Privatunterricht!
Und den auch noch von Johann Traber, einem Star der Zunft und dem Oberhaupt der legendären Traberfamilie. In seinem Garten in der Nähe von Freiburg zeigt mir der geduldige Weltrekordträger, wie ich in einem Meter Höhe von einem kleinen Bock zum gegenüberliegenden Walnussbaum balanciere. Mit einer rund 12 Kilo schweren Ausgleichsstange in der Hand, die mich mehr behindert, als ausgleicht. "Immer nur nach vorne schauen!", mahnt Johann wieder und wieder und erzählt mir dabei von seinem schwersten Sturz. Aus rund 40 Meter Höhe krachte er damals auf einen harten Sandboden, weil er nur kurz nach unten schaute. Das brennt sich mir ein, und so schaue ich fortan, sobald ich den Bodekontakt auf welche Art auch immer verloren habe, nicht mehr hinunter. Was ist das größte Talent eines guten Seiltänzers, frage ich ihn.
"Die Nerven zu behalten, antwortet er. In jeder Situation die Nerven zu behalten!"
Genau das versuche ich am nächsten Tag auf dem Marktplatz von Freiburg in einem lächerlich engen Anzug. Mein Seil hängt acht Meter hoch. Etwa einhundert Zuschauer halten den Atem an. Oder unterdrücken die nur ihr Lachen?! Egal. Hochkonzentriert starre ich auf meine weißen Ballettschlappen, die sich nur zögernd und milimeterweise über das Seil bewegen wollen. Immer wieder sehe ich die Tiefe. Das Kopfsteinpflaster. Die lächelnden Sanitäter neben ihrem Unfallwagen.
Es war kurz, mein Glück und auch mein Halt auf dem acht Meter hohen Seil wird mit knapp eine Minute dreißig nicht in die Analen eingehen.
Warum habe ich denn versagt, frage ich später den Meister.
"Weil du da oben die Nerven verloren hast, Junge. Es lag nur an deinen Nerven!"
Ja, es lag an meinen Nerven und wohl auch daran, dass ich nicht wie die Familienmitglieder der Trabers jahrelang an meiner akrobatischen Sportlichkeit trainiere. Hochseilartist ist kein Job wie jeder andere, sondern etwas für Profis mit Nerven, die noch dicker als ihre Hochseile sein müssen. Aber einen Riesenspaß hat es trotzdem gemacht und wann immer ich die Möglichkeit habe, irgendwo hinaufzuklettern um zu balancieren, bin ich oben und bereit.